Pressemitteilung vom 15. Februar 2021
Die Moderatorin Dr. Agnes Imhof, Islamwissenschaftlerin, führt in die Veranstaltung „Wir sind nicht eure Blöße – Feminismus in Tätersystemen“ am 14. Februar 21 mit einer Erklärung des Konzepts „Blöße“ ein. Das arabische Wort „aura“ bedeutet Schwachstelle – und die Schwachstelle sind nach diesem Konzept die Frauen für ihre Familien und Gemeinschaften.
Khulud Alharthi, freie Journalistin und Geflüchtete aus Saudi-Arabien, ergänzt, dass es in der gesamten so bezeichneten islamischen Welt eine feministische Revolution gibt, die sich gegen dieses Konzept wehrt, lautstark auch in den sozialen Medien. Naïla Chikhi, unabhängige Referentin für die Themen Integration und Frauenpolitik, macht deutlich, dass es bereits in den 1930ern eine Frauenbewegung gab, die erst mit der Machtergreifung der Islamisten Ende der 1970er Jahre unterdrückt wurde. In den 1980er Jahren wurde dann das islamistische Frauenbild in den Gesetzen der sogenannten islamischen Welt verankert, vor allem im Familienrecht. Dadurch verloren die Frauen nicht nur Grundrechte, das Rollenbild wurde auch in der Gesellschaft zementiert und die Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum zu einem politischen Mittel, um Frauen in den häuslichen Bereich zu verbannen und auf eine untergeordnete Stellung zu reduzieren.
Ninve Ermagan, freie Journalistin und Mitglied des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland, weist auf die Effekte hin, die die Verteufelung weiblicher Sexualität auch auf Männern hat, u. a. befördert sie Radikalisierungsprozesse. Dabei spielt weniger Bildung eine Rolle, sondern das durch die Islamisten verstärkte Konzept von Ehre. Je stärker sich die Verschleierung von Frauen ausgebreitet hat, desto stärker nahm die sexuelle Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum zu, erklärt Hannah Wettig, freie Journalistin mit Schwerpunkten Geschlechterverhältnisse, Feminismus und Islamismus. Zum einen, weil Gewalt im öffentlichen Raum durch die Machthaber gegen Frauen genutzt wurde, zum anderen, weil verschleierte Frauen dann auch als „schwach“, und damit als „leichtere Beute“ angesehen wurden. Die islamistische Propaganda hat also das Gegenteil des behaupteten „Schutzes“ für Frauen bewirkt.
Ermagan erinnert daran, dass auch in Deutschland junge Männer und Frauen in den sozialen Medien den Ehrbegriff reproduzieren und Frauen die gleichberechtigte Ausübung von Sexualität verbieten möchten.
Auch die Parallelen zu dem Frauenbild von Rechtsextremisten werden angesprochen sowie die historischen Verbindungen von Nationalsozialismus und Islamismus. Beide Systeme wurden und werden auch von Frauen gestützt, die einerseits massive Repressalien fürchten müssen, wenn sie sich wehren, worauf Alharthi hinweist, andererseits aber auch Überzeugungstäterinnen waren, die mit der Teilhabe an Macht belohnt wurden.
So vielfältig die Ursachen für Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum sind – Erziehung, politische Einflussnahme durch religiöse Extremisten, soziokulturelle Faktoren wie Arbeitslosigkeit, patriarchale Strukturen – sie sind veränderbar, wie Chikhi in den von ihr geleiteten Workshops mit u.a. Geflüchteten feststellen konnte. Der Schlüssel zu einer dauerhaften Veränderung liegt in der Rolle der Frau. Ohne die Befreiung der Frau aus dem Konzept der Ehre wird eine Demokratisierung der Gesellschaften der so bezeichneten islamischen Welt nicht möglich sein, betont Hannah Wettig.
Umbruch ist möglich, stellt Dr. Agnes Imhof abschließend fest, so wie die Gesellschaften durch die Machtergreifung der Islamisten radikalisiert wurden, können sie sich auch wieder Richtung Gleichberechtigung entwickeln. Die gewonnenen Erkenntnissen der beteiligten Fachfrauen lassen auch für Integrationsprozesse in Deutschland hoffen – wenn der Schlüssel zu demokratischen Werten in der Gleichberechtigung von Frauen erkannt wird!
Die Diskussion wurde in Kooperation mit der Initiative Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung veranstaltet.