Offener Brief an Ministerpräsident Armin Laschet bezüglich Entschuldigung fünf Jahre nach "Köln"

Mittwoch 30. Dezember 20 12:42

Sehr geehrter Herr Laschet,

vielen Dank, dass Sie die Übergriffe auf Frauen vor fünf Jahren in Köln und anderen Städten ansprechen. Es war angesichts der massiven Übergriffe, wie Sie klar benennen, ein Staatsversagen, und die Bilanz ist bitter.

Um das Thema aufzuarbeiten, war eine Entschuldigung wie Ihre ein notwendiger Anfang. Daher für Ihre Worte großen Dank!

Jedoch werden Hintergründe nicht behandelt und es hilft weder den Opfern noch bei der Verhinderung weiterer Taten, wenn wir es bei Worten belassen. Die Opfer brauchen nach wie vor Hilfe in Folge des erlebten Traumas, sowohl psychologische Betreuung als auch auch finanzielle Hilfe, sollten sie diese in Anspruch nehmen wollen.

Zur Verhinderung weiterer Gewalt müssen die Taten klar benannt und deren Ursachen analysiert werden.

Es handelt sich nicht einfach um Kriminalität, wie Sie auf Twitter schreiben, sondern um gezielt gegen Frauen gerichtete Gewalt durch Täter, die diese Taten gemeinschaftlich ausgeführt und sich gegenseitig dabei unterstützt, geschützt und angefeuert sowie sich im Nachhinein durch gemeinsames (Ver)Schweigen der Strafverfolgung entzogen haben. Diese Taten waren keine "einfache" Kriminalität, sondern ein Ausdruck von Frauenverachtung, Folge der Degradierung von Frauen zu Objekten ohne Menschenwürde.

Desweiteren waren diese Taten kein singuläres Vorkommen. Die gleichen Taten fanden in verschiedenen Städten statt, auch nach der Silvesternacht gab es weitere Gruppenübergriffe auf Musikfestivals und Straßenfesten.

Bei der Recherche für das Buch "Ich will frei sein, nicht mutig - FrauenStimmen gegen Gewalt", das sich "Fünf Jahre Köln" zum Anlass nimmt, habe ich keine Forschung zu den Ursachen dieser Gruppengewalt gegen Frauen in Deutschland gefunden. Daher fordert Frauen für Freiheit e. V. die Finanzierung von Forschung zur Analyse der Ursachen der Taten, um Prävention möglich zu machen. Ein Staatsversagen diesen Ausmaßes sollte zum Anlass genommen werden, alle Möglichkeiten zu nutzen, Gegenstrategien zu entwickelt. Leider ist bisher kaum etwas geschehen, um weitere Angriffe auf Frauen zu verhindern. Es reicht nicht, die Polizeiarbeit zu verbessern, die letztlich nur das Symptom bekämpfen kann. Die Gleichberechtigung von Frauen, die von den Tätern negiert wird, ist ein Grundrecht, das mit allen Mitteln geschützt und erhalten werden muss.

Dabei muss nicht bei Null angefangen werden, denn es gibt bereits Analysen dieses Phänomens in der islamischen Welt. Analystinnen und Analysten und Frauenbewegungen benennen politische, vermeintlich religiöse und kulturelle Faktoren als Ursache derselben Gruppengewalt gegen Frauen. Daher konnten wir für unsere Analysen nach "Köln" auf diese Vorarbeit aufbauen. U. a. die Autorinnen Khulud Alharthi, Hannah Wettig und Naila Chikhi nennen Gründe und Strategien gegen Gewalt gegen Frauen z.B. in Saudi Arabien, Marokko, Algerien, Ägypten und Irak.

Herr Laschet, Sie betonen auf Twitter das weltoffene, liberale und bunte Land, für das wir gemeinsam eintreten. Um Vielfalt erhalten und Rassisten den Nährboden entziehen zu können, muss auch zwischen Tätern auf der einen und Flüchtlingen und Migranten auf der anderen Seite unterschieden werden können. Wenn die Faktoren solcher Taten benannt werden, werden nicht mehr alle Menschen, die zufällig Merkmale mit den Tätern gemein haben, in Gruppenhaft genommen. Auch dies ist ein Grund für die Forderung nach Analyse und öffentlicher Benennung der Ursachen der Taten. Vergessen Sie nicht, dass Frauen, darunter einige der Autorinnen, nach Deutschland geflüchtet sind, um Gewaltphänomenen wie in Köln zu entkommen. Gerade diese Frauen sollten nicht in Gruppenhaft mit den Tätern genommen, sondern ohne Wenn und Aber vor ihnen geschützt werden.

Wir zählen darauf, dass Sie Ihren Worten Taten folgen lassen und sich für eine bundesweite Untersuchungskommission sowie die Finanzierung von Forschung zu Gruppengewalt gegen Frauen einsetzen. Die Rechte und die Freiheit von Frauen sind der Gradmesser für die Weltoffenheit und Liberalität eines Landes. Frauenrechte dürfen niemals Partikularinteressen untergeordnet werden, sonst verliert die gesamte Gesellschaft ihre Freiheit und das Vertrauen in den Rechtsstaat. Grundrechte bleiben Papier, wenn sie nicht für jeden und jede, gerade auch für Frauen mit Migrationshintergrund, durchgesetzt werden. Keine Frau soll mutig sein müssen, um frei zu sein.

Feministische Grüße

Rebecca Schönenbach

 

Vorsitzende von

Frauen für Freiheit e. V., Pappelallee 78/79, 10437 Berlin

Offener Brief an Ministerpräsident Armin Laschet bezüglich Entschuldigung fünf Jahre nach "Köln"