Kurzbericht "Was ist uns die staatliche Neutralität wert?"
Autor: Gero Ambrosius
Lehrerinnen in Nonnentrachten, Kruzifix-Anhänger, Kreuze an den Wänden und überall Bezüge auf das Christentum – und das an einer staatlichen Schule. Wenn dann noch die überwältigende Mehrheit der Schüler Christen sind, dann sei das sehr einschüchternd für vereinzelte anders- oder nichtgläubige Kinder. Spätestens in einer so klaren Ausprägung sei der Schulfrieden und die gebotene staatliche Neutralität nicht mehr gegeben. So erläuterte der Jurist und ehemalige Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhaus Erol Özkaraca bei einem Glas Wein die Notwendigkeit, Lehrer genauso wie andere Staatsbedienstete zu verpflichten, neutral aufzutreten. Das sei die Absicht hinter dem Berliner Neutralitätsgesetz, das ausdrücklich staatliche Neutralität verlangt, statt wie die Gesetze anderer Bundesländer Kopftücher zu verbieten, aber Lehrern die Vertretung christlicher Werte zu erlauben.
Özkaraca hatte zuvor in einem etwa zweistündigen Vortrag im Rahmen einer Veranstaltungsreihe von Frauen für Freiheit e.V. kenntnisreich die juristische Einordnung und die Hintergründe des Streites um das Berliner Neutralitätsgesetz zwischen divergierenden Verfassungsgerichtsurteilen dargelegt. Im September 2003 war in Karlsruhe entschieden worden, dass es notwendig sei, gesetzliche Regelungen zu erlassen, wenn der Gesetzgeber möchte, dass seine Beschäftigten neutral auftreten. Daraufhin hatte das Land Berlin 2005 das Neutralitätsgesetz verabschiedet. 2015 jedoch entschieden die Verfassungsrichter in Karlsruhe, dass ein generelles Verbot religiöser Symbole für Lehrer und Lehrerinnen unzulässig sei, wenn es in der jeweiligen Glaubensauffassung ein religiöses Gebot darstellt, sie zu tragen. Wenn also ein gläubiger Mensch es als seine religiöse Pflicht betrachtet, ein nach außen sichtbares Symbol mit sich zu führen, könne das nicht pauschal verboten werden. Ein Verbot sei nur rechtmäßig, wenn eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens im Einzelfall vorliege. Eine abstrakte Gefahr reiche hier wegen der Schwere der Religionsfreiheit in der Verfassung als Begründung für ein Verbot nicht aus.
Als ehemaliger SPD-Abgeordneter für Berlin-Neukölln kennt Özkaraca die Zustände an zahlreichen Schulen gut, in denen deutlich eine religiöse Dominanz den Schulfrieden und damit die staatliche Neutralität gefährdet. Freilich nicht eine christliche, sondern eine islamische Dominanz aufgrund entsprechender Religionszugehörigkeit von teilweise annähernd 100 % der Schülerschaft. Nun zuzulassen, dass auch die Lehrerschaft etwa durch Kopftuch tragende Kolleginnen offen islamisch auftritt, bedeute mehr als nur eine abstrakte Gefahr. Özkaraca wirft den Verfassungsrichtern vor, zu sehr von ihren persönlichen Erfahrungen im beschaulichen Karlsruhe auszugehen und die Situation von Brennpunktschulen in muslimisch geprägten Großstadtvierteln nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Außerdem obliegt es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nun der Schulbehörde bzw. den Schulen selbst, in jedem Einzelfall die konkrete Gefährdung des Schulfriedens festzustellen, um an der jeweiligen Schule das Tragen von religiösen Symbolen zu verbieten
Vor dem Hintergrund des letzten Verfassungsgerichtsurteils hält Özkaraca eine Änderung des Berliner Neutralitätsgesetz für nötig, wolle man das Gesetz im Kern erhalten. In der gegenwärtigen Form würde es einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung wohl nicht standhalten. Vor dem Europäischen Gerichtshof, dessen Rechtsprechung bisher stärker die Neutralität betont und sogar privaten Unternehmen erlaubt, aus diesen Gründen seinen Angestellten etwa das Tragen von Kopftüchern pauschal zu verbieten, sieht es eventuell aussichtsreicher aus, das Gesetz durchzusetzen. Aber der Ausgang wäre offen und Özkaraca hält eine Änderung des Neutralitätsgesetzes für grundsätzlich möglich, die den Urteilen gerecht wird, aber den Zweck des Gesetzes erhält. Dazu sei aber politischer Wille nötig. Ob dieser vorhanden ist, wenn es sogar Bestrebungen gibt, islamischen Verbänden zu einem Staatsvertrag zu verhelfen, ist zweifelhaft. Den Grundgedanken des Gesetzes, das anders als das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht nur Schulen betrifft, sondern das weltanschaulich neutrale Auftreten aller staatlichen Beschäftigten verlangt, hält Özkaraca weiterhin für richtig.
In jedem Fall aber erscheint eine Entscheidung nötig zwischen einer Abschaffung, einer Änderung oder dem Versuch einer Durchsetzung des Gesetzes. Aktuell werden in Berlin regelmäßig Kopftuch tragende Bewerberinnen für den Staatsdienst abgelehnt, dann aber lässt man sich auf Entschädigungen wegen Diskriminierung ein. Selbst in Berlin keine Dauerlösung.