Hüpfekästchen auf dem Rücken der Frauen

Sonntag 23. Juli 17 15:19

Hüpfekästchen ist ein Spiel aus einer Zeit, als Kinder noch mit Kreide auf die Straße malen konnten ohne dass ihren Eltern dafür Strafen angedroht wurden. Erinnern Sie sich? Ein paar Kästchen mit Zahlen darin auf die Straße gemalt, ein kleiner Stein, der in eines der Kästchen geworfen wurde, und dann wurde gehüpft. Wer auf den Kästchenrand oder in das Feld mit dem Stein trat, hatte verloren, es musste genau in die richtigen Zahlenkästchen gesprungen werden.

Das Spiel hat gerade wieder Hochkonjunktur, allerdings mehr in der medialen und politischen Spähre. Einer bringt den Stein ins Rollen und alle anderen hüpfen um ihn herum. Letztes Wochenende vermeldete das Polizeipräsidium Aalen, in der kleinen Daimlerstadt Schorndorf hätten sich „in der Nacht zum Samstag zwischen 20 Uhr und 3 Uhr bis zu 1.000 Jugendliche versammelt, „die meisten wohl mit Migrationshintergrund“. Es sei zu sexuellen Belästigungen und Randale gekommen. Die Meldung verbreitete sich sehr rasch, die Zahl von 1.000 jungen Männern in Kombination mit sexuellen Übergriffen erinnerte an die Vorfälle in Köln. Und schon ging das muntere Zahlenhüpfen los, wer auf den Rand sprang, hatte verloren. Es seien keinesfalls 1.000 Jugendliche gewesen, und auch nur neun Anzeigen wegen sexueller Belästigung. Zwar gab es unter den ermittelten Tatverdächtigen Migranten, aber die Randale sei von Abiturienten und Realschülern ausgegangen.

Es sei richtig gewesen, dass die Frauen die Belästigungen angezeigt hätten (sic), aber so etwas gebe es überall, sagte der Schorndorfer Bürgermeister Klopfer. Und schließlich fand die TAZ mit Hilfe des örtlichen Koordinierungsteam des Schorndorfer Volksfestes den wahren Schuldigen der Übertreibungen: `Bisher habe die SchoWo als eines der sichersten Volksfeste der Region gegolten, sagt Dobler. Etwa wegen des Schnapsverbots auf dem gesamten Fest und der engen Zusammenarbeit mit der Polizei. „Die war immer Teil der SchoWo“, sagt er, so wie all die Vereine im Ort, die das Fest seit fast dreißig Jahren organisieren. Geändert habe sich das erst mit dem Ruhestand gleich zweier leitender Beamter bei der örtlichen Polizeidienststelle. Der neue Einsatzleiter im Revier Schorndorf war zuvor Referent beim baden-württembergischen Innenministerium, er brachte sein eigenes Sicherheitskonzept mit, wollte es den Festorganisatoren überstülpen. So erzählt es der Koordinationskreis. Der Mann hatte sich in Schorndorf als Experte für Großeinsätze vorgestellt. Nach dem Wochenende sind sich die versammelten Vereinsvorsitzenden da nicht mehr so sicher.´

Der Einsatzleiter war's. Und die anschließende Pressemitteilung der Polizei.

Inzwischen sehen die Zahlen tatsächlich deutlich niedriger aus, es wird wieder in die richtigen Kästchen gesprungen. Nur der Stein, die Meldung von Gruppenübergriffen auf Frauen, wird von niemandem aufgehoben. Die gibt es schließlich überall, wenn dem Schorndorfer Bürgermeister zu glauben ist. Nun gab es in den letzten beiden Jahren tatsächlich überall Gruppenübergriffe auf Frauen. In Köln, Hamburg, im Rathaus München, auf der Silvestermeile in Berlin, in Schwimmbädern... Kurz, auf öffentlich erreichbaren Plätzen, Veranstaltungen und Versammlungsorten. Und diese Form der Übergriffe unterscheidet sich deutlich von den davor bekannten sexuellen Übergriffen. Erstens in der Form, denn öffentliche Gruppenübergriffe, bei denen Frauen und Mädchen eingekesselt, festgehalten und vor aller Augen belästigt werden, kamen vor der sogenannten Flüchtlingskrise in den Meldungen zu Volksfesten kaum vor. Dabei ist zweitens nicht die Herkunft der Täter entscheidend, sondern deren Einstellung und die ihrer Umgebung. Während „Abiturienten und Realschüler“ in der Mehrheit von ihren Verwandten und Freunden nicht für solche Taten und/oder Randale gefeiert oder verteidigt werden, haben die bisher ermittelten Täter von Köln bis Schorndorf von ihrer Umgebung keine Konsequenzen zu befürchten. Denn Frauen gelten bei solchen Tätern und deren Herkunftsumfeld als Menschen zweiter Klasse. Und das ist der eigentliche Unterschied, neben der Vorgehensweise, zu "immer schon dagewesenen" sexuellen Übergriffen.

Wer die Taten relativiert, indem er oder sie ein „das war schon immer so“ hinterherschiebt, macht sich die Einstellung der Täter zu eigen. Es waren doch nur Frauen, die wurden schon immer belästigt, kein Grund zur Aufregung.

Wenn wir nicht aufhören, um den Stein herumzuhüpfen, werden weiter Frauen zu Schaden kommen. Und diejenigen Flüchtlingsfrauen, die vor der Ideologie solcher Männer geflohen sind, ebenfalls, denn sie werden hier den Schutz nicht mehr finden, den sie so dringend brauchen.

Hüpfekästchen auf dem Rücken der Frauen
Foto: Libraryrachel, Quelle: Flickr