Empörung stricken

Montag 19. Dezember 16 18:21

Um euch die Wartezeit auf unsere Veranstaltung zu verkürzen, findet ihr hier regelmäßig Beobachtungen aus der Berliner Blase.

Der Berliner Koalitionsvertrag wurde am 17. November der Öffentlichkeit vorgestellt, woraufhin ich ihn mir durchgeguckt habe. Beim Lesen des Konvoluts von mehr als 200 Pdf-Seiten habe ich einige Besonderheiten getwittert, zum Beispiel den geplanten Preis für migrantische Ökonomie. "Sexismus im öffentlichen Raum entgegentreten“ stand ebenfalls drin und wurde von mir kommentiert mit

 

Das rief Reaktionen hervor, bescheuerte aus der rechten Ecke, und sinnvolle wie etwa ein Hinweis, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt zu unterscheiden seien. Das stimmt natürlich, und zu Gewalt gegen Frauen wird tatsächlich einiges im Koalitionsvertrag gesagt. Es soll gegen Zwangsehen vorgegangen werden, gegen Stalker und auch gegen häusliche Gewalt. Alles zu begrüßen, das Thema der öffentlicher Übergriffe wird damit jedoch nicht abgedeckt.

Nachdem der Tweet weit verbreitet wurde, gab es zwei Reaktionen von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses. Die erste kam von einer Grünen MdA, Canan Bayram, und begann mit „Geht´s noch?“ Kein ganz üblicher Einstieg in eine konstruktive Diskussion, aber die lässt sich in 140 Zeichen eh nicht führen.

Die Dame ist Anwältin und argumentierte damit, man könne schließlich nicht alle Paragraphen des Strafgesetzbuches in den Koalitionsvertrag schreiben, damit ich beruhigt sei. Nun, vor dem Tweet war ich nicht beunruhigt, hinterher schon, denn die über 200 Seiten behandeln jede Menge Paragraphen. Es ist eine Frage der Gewichtung, welche man beachtenswert findet. Zudem geht es nicht um eine Änderung der Paragraphen, sondern um die Durchsetzung derselben, aber das ist für die Anwältin und Mitglied des Innen- und des Rechtsausschusses vermutlich zu praktisch gedacht.

Jedenfalls sieht sie offenbar keinen besonderen Handlungsbedarf.

Die zweite Reaktion kam von SeeroiberJenny, wie sich die Linke MdA Anne Helm nennt. Sie verwies auf das eben erwähnte Kapitel über Gewalt gegen Frauen, das eben Gewaltzentren und Zufluchtshäuser beinhaltet, „mit erheblichen Mehrausgaben“. Wie gesagt, stimmt, behandelt aber nicht das Thema Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum. Mein Hinweis darauf wurde mit, „Gewaltschutzzentren, Zufluchtswohnungen... keine Silbe wert, wenn es die Empörungskultur stört“ beantwortet. Also soll ich nicht nur beunruhigt, sondern auch noch empört sein, dass der Berliner Koalition keine vernünftige Maßnahme für die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum eingefallen ist.

Derweil liegen Strick- und Nähkurse in Berlin wieder voll im Trend. Vielleicht, weil es Hobbys sind, bei denen frau das Haus nicht verlassen muss?

Ich verabscheue Handarbeiten. Vielleicht haben die beiden Damen recht und ich sollte es mal mit Beunruhigen und Empören versuchen.

 

Eure Rebecca

 

Empörung stricken

Foto von Alexander Hüsing, Quelle: Flickr