Ein Abgesang auf den Rechtsstaat

Dienstag 21. März 17 00:58

Berlin, September 2016. Ein Mann wird beim Missbrauch eines 6-jährigen Mädchens ertappt, festgehalten, und von der Polizei festgenommen. Als der Vater des Mädchens den Täter mit einem Messer angreift, wird er von der Polizei erschossen. Eine nachvollziehbare und akzeptierte Abwehr eines Verbrechens an einem Verbrecher. Der Täter war bereits von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, diese verhinderte Lynchjustiz und stellte sicher, dass der Mann auf rechtsstaatlichem Wege verurteilt werden konnte. Der Täter stammt aus Pakistan, die Familie des Mädchens aus dem Irak, der Missbrauch hat auf dem Gelände eines Flüchtlingsheims stattgefunden.

Die Mutter des Mädchens sagte nach Journalistenberichten, dass sie keine Rache, sondern ein Urteil nach deutschen Gesetzen wolle. Und so kam es: Der Täter erhielt im Februar für den Missbrauch der 6-järigen Lya lediglich eine Bewährungsstrafe. Die Mutter ist fassungslos. "Warum ist er frei?" schrie sie nach der Urteilsverkündung immer wieder.

Die Schreie der Mutter hallen in den Köpfen vieler wieder. Denn wie auch immer Richter Bewährungsstrafen begründen mögen, das Urteil ist schwer nachzuvollziehen. Der Täter sagte vor Gericht aus, es sei ihm egal gewesen, ob Mädchen oder Frau. Nur schnell sollte es gehen. Auch die Integrationshelfer, die die Familie von Lya betreuen, werden Mühe haben, der Mutter das Urteil zu erklären. Das milde Urteil wird den Mann, der keine glaubhafte Reue zeigte, kaum in seiner Einstellung und seinem Verhalten gegenüber Frauen und Mädchen beeinflussen. Auch die Täter, die in Hamburg stundenlang ein Mädchen folterten und vergewaltigten, wurden durch die ihnen auf Grund positiver Sozialprognosen gewährten Bewährungsstrafen wohl kaum umgestimmt. Ihre Angehörigen jubelten bei der Urteilsverkündung, die Bewährung empfanden sie wie die Täter selbst als Sieg. Die Täter nutzen die vom Richter gegebene Chance, um sich vor der Berufung aus dem Staub zu machen.

Zurück bleiben die zerstörten Leben der Opfer und eine Agonie, die sich in großen Teilen der Bevölkerung ausbreitet. Das Rechtsempfinden der Bürger und die Rechtsprechung der Gerichte passen immer öfter nicht zusammen.

Aber auch die Exekutive lässt rechtsstaatliches Handeln und Denken vermissen.

Wenn eine Frau in Berlin Strafanzeige gegen Unbekannt wegen einfacher Körperverletzung stellt, wird de facto gar nicht mehr ermittelt. Die Polizei habe Anweisung, nur Fälle zu bearbeiten, bei denen eine reale Erfolgschance besteht. Körperverletzung sei nicht gravierend genug. Jedenfalls für die Weisungsgeber der Polizisten, für die betroffene Frau sieht das sicher anders aus.

Der Bundesjustizminister hat sich erst nach monatelangem Druck zu einem Gesetzentwurf durchgerungen, der Kinderehen generell verbietet, obwohl hinreichend belegt ist, dass die bisherigen Regelungen die Kinderbräute nicht schützen. Heiko Maas war in seinem Zweifel an der Schutzwürdigkeit von Mädchen nicht allein. Der Deutsche Anwaltverein hält ein generelles Verbot von Kinderehen für Rechtskolonialismus. Das in anderen Ländern geltende Recht sei zu respektieren, und damit auch dort geschlossene Kinderehen. Die bisherigen Schutzmechanismen seien ausreichend. Dieser Auffassung hat sich der Deutsche Notarverein angeschlossen, Kinder, die aus den Ehen hervorgegangen sind, könnten sonst benachteiligt werden. Die jahrelange Sklaverei der minderjährigen Mütter rührt die Juristen hingegen nicht. Genau so wenig wie es offenbar die Juristinnen rührt. Der Deutsche Juristinnenbund stellt sich denn ebenfalls gegen ein Verbot der Kinderehe, die Damen hätten lieber eine „eine Reform mit Augenmaß“. Damit liegen deutsche Juristinnen und Juristen auf einer Linie mit ihren türkischen Kollegen bei der AKP, die ebenfalls die Kinderehe legalisieren möchten. Und ihr Verständnis von Menschenrechten dürfte sich demnach dem der türkischen Kollegen angeglichen haben: Nicht schützenswert.

Dass Juristen die Menschenrechte von Frauen und Mädchen geringschätzen, spiegelt den Gesinnungswandel in der Politik wieder. So trat letzte Woche der Regierende Bürgermeister Berlins mit Islamisten bei einer Kundgebung am Breitscheidplatz auf. Nicht nur wurden die Opfer des islamischen Terroranschlags auf eben jenem Breitscheidplatz in dem Aufruf mit keinem Wort erwähnt, drei der beteiligten Moscheevereine werden auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Imam einer dieser Vereine wurde von Müller selbst mit einem Integrationspreis ausgezeichnet. In seine Moschee werden Prediger eingeladen, die gegen Juden, Homosexuelle und Schiiten hetzen und das Schlagen von Ehefrauen empfehlen.

Wer bedenkt, dass Rechtskolonialismus für deutsche Juristen schwerer wiegt als die Verletzung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen, kann in der Verleihung des Integrationspreis an den Imam Mohammed Taha Sabri eine inhärente Logik erkennen.

Es trifft jedoch längst nicht mehr nur Frauen und Mädchen, Männer werden nur auf andere Arten angegriffen. Wer in der Berliner U-Bahn nach Zigaretten gefragt wird, weiß spätestens seit dem Tod von Giuseppe Marcone, dass seine körperliche Unversehrtheit akut in Gefahr ist. Nun wurde auch ein Mann in Dresden nach Feuer für Zigaretten gefragt. Die Angreifer schubsten ihn ins Gleisbett und verhinderten seine Flucht vor dem einfahrenden Zug. Glücklicherweise konnte der S-Bahn-Fahrer rechtzeitig bremsen. Die Dresdner Staatsanwaltschaft hält den Fall für wenig dramatisch: "Nach einer Prüfung des Sachverhalts kommt ein versuchtes Kapitalverbrechen nicht in Betracht." „Der Geschädigte habe schließlich die Möglichkeit gehabt, sich in die andere Richtung über das Nachbargleis in Sicherheit zu bringen.“ Die Staatsanwaltschaft ließ die Täter frei.

Das Opfer will "keine Rache, keine Entschuldigung. Aber ich habe Angst vor einem Wiedersehen mit den Tätern. Ich weiß einfach nicht, wie ich dann reagieren werde."

Eine Aussage, die sehr an die der Mutter Lyas erinnert. Es bleibt das Gefühl, dass die Täter frei sind, und die Opfer Freiwild. Und mit diesem Gefühl könnte es durchaus sein, dass Teile der Bevölkerung anders als unsere deutschen Juristinnen das Augenmaß verlieren und sich ihren Schutz selbst suchen, ob im Rahmen des Gesetzes oder nicht. Nicht nur Täter werden dann um ihr Leben und ihre Freiheit fürchten, bei Selbstjustiz kann jeder Opfer werden. Juristen schaffen den Rechtsstaat ab, und damit den Garant für unsere Freiheit. So long, Justitia?

 

Ein Abgesang auf den Rechtsstaat
Foto: Markus Daams, Quelle: Flickr
Autorin: Rebecca Schönenbach