Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin
Dienstag 03. September 19 20:23
An den Regierenden Bürgermeister Berlins
Sehr geehrter Herr Müller,
Sie haben uns heute auf Twitter zu unserer Fragen ob des Empfangs des Teheraner Bürgermeisters Dr. Pirouz Hanachi und des iranischen Botschafters Mahmoud Farazandeh am 6. September 2019 im Roten Rathaus folgende Stellungnahme zukommen lassen.
"Das Treffen mit dem Bürgermeister von Teheran, Dr. Pirouz Hanachi, kommt nach Einholen eines positiven Votums beim Auswärtigen Amt zustande. Selbstverständlich wird der Regierende Bürgermeister das Treffen auch dazu nutzen, das Existenzrecht des Staates Israel zu unterstreichen und Berlins besondere Beziehung zu Israel hervorzuheben. Der Besuch ist eine Chance, im Gespräch die gelebte Weltoffenheit und Toleranz der Metropole Berlin und die hierfür wesentlichen freiheitlich-demokratischen Werte deutlich zur Sprache zu bringen. Teheran ist Mitglied im weltgrößten Städtenetzwerk Metropolis, dessen Präsident der Regierende Bürgermeister von Berlin ist. Das Netzwerk und seine Foren arbeiten demokratisch, dienen dem internationalen Dialog und nicht zuletzt auch der kritischen Auseinandersetzung."
Sehr geehrter Herr Müller, wir hatten Sie nach den Haftstrafen für Frauen gefragt, die sich gegen den durch das iranische Regime eingeführten Kopftuchzwang für Frauen im Iran wehren, leider sind Sie uns eine Antwort schuldig geblieben. Wie Sie richtig sagen, ist Teheran Mitglied von Metropolis, einem Verband, der sich für sozialen Zusammenhalt und Gleichberechtigung einsetzt. Sowohl der Bürgermeister Teherans als auch der iranische Botschafter repräsentieren ein Regime, das diese Werte ablehnt. Minderheiten werden unter dem iranischen Regime rigoros verfolgt, Homosexualität wird mit dem Tod bestraft, Vertreter der Bahai werden eingesperrt, einzig, weil sie Bahai sind. Seit Anfang der Proteste 2017 wurden duzende Frauen in Teheran verhaftet, die friedlich für Menschenrechte für Frauen demonstriert haben. Viele von ihnen sitzen in dem berüchtigten Evin Gefängnis in Teheran, unter anderem Nasrin Sotoudeh, eine Anwältin, die zu 33 Jahren Gefängnis und 148 Hieben verurteilt wurde, da sie Frauen verteidigt hat, die friedlich gegen den gesetzlichen Kopftuchzwang des Regimes protestierten. Sotoudeh gelang es im August einen Brief aus dem Gefängnis zu schmuggeln, sie schreibt: "From here, behind bars, I also send greetings and kisses for my compatriot women who are non-violently struggling through this arduous path, and attempt to end compulsory hijab" und "Let the world watch our unified struggle towards achieving a basic and common right."
Mit dem Empfang zweier prominenter Vertreter des Regimes senden Sie, sehr geehrter Herr Müller, iranischen Frauen eine Botschaft. Sie zeigen, dass Sie als Repräsentant einer Hauptstadt, deren Bürgerinnen und Bürger endlich alle individuelle Rechte und Freiheit genießen, diese Rechte für iranische Frauen gering schätzten. Denn das Regime hat vielfach deutlich gemacht, zuletzt durch die Verurteilung der 20-jährigen Saba Kord-Afshari zu 24 Jahren Gefängnis für "die Verbreitung von Korruption und Prostitution durch das Abnehmen des Hijab" am 19. August diesen Jahres, dass es sich durch reinen Dialog nicht von Werten wie Gleichberechtigung überzeugen lässt. Wenn Sie trotz der Verhaftungen von und drakonischen Strafen für Frauenrechtlerinnen Pirouz Hanachi und Mahmoud Farazandeh offiziell im Roten Rathaus empfangen, legitimieren Sie das Regime, statt deutlich zu machen, dass Menschenrechte auch für Frauen außerhalb Berlins und Deutschlands gelten.
Dagegen protestieren wir entschieden. Wir stellen uns als Berlinerinnen an die Seite iranischer Menschenrechtlerinnen und drücken den Frauen im Iran unsere volle Unterstützung aus.
Mit feministischen Grüßen
Patricia Pereira, Lisa Buchner, Rebecca Schönenbach
für
Frauen für Freiheit e. V.
PS: Da Sie Bezug auf die besondere Beziehung zu Israel nehmen, sei der Hinweis erlaubt, dass Israel das einzige Land im Nahen Osten ist, in dem Frauen und Männer gleichberechtigt sind, auch muslimische Frauen. Es bedarf nicht unbedingt historischer Bezüge, um sich gegen Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit einzusetzen, es reicht, sich an die Seite derer zu stellen, die im Hier und Heute auf Menschenrechten für alle bestehen, also an die Seite Israels.
Rebecca Schönenbach
Vorstandsvorsitzende von
Frauen für Freiheit e. V., Pappelallee 78/79, 10437 Berlin
https://twitter.com/FrauenfFreiheit
https://www.facebook.com/FrauenfFreiheit/Vida Movahed, protested against compulsory hijab by removing her headscarf and hoisting it in public on Tehran's Revolution Street on December 27, 2017.